Von New Work, Kneipentagen und flexiblen Arbeitsumgebungen: ein Interview mit Björn Waide

Wir haben uns sehr über die Interviewzusage gefreut. Björn Waide ist nämlich einer der Vordenker des New Work-Konzepts und Experte für digitale Transformation. Mit seiner umfangreichen Erfahrung als Informatiker und Gründer und CEO von „net positive ventures“ hat Björn eine einflussreiche Rolle in verschiedenen Bereichen gespielt, von der Softwareentwicklung und Geschäftsführung in Scale-up-Unternehmen über das obere Management bis hin zu Vorstandspositionen in diversen Konzernen. Durch seine Beratertätigkeit hat er zudem einen großen Beitrag zur digitalen Transformation und zum New-Work- und Wertschöpfungsprozess von Unternehmen geleistet. Björn Waide, dessen Podcast #ErfolgsgeDANKE wir mit großem Interesse verfolgen, teilt seit vielen Jahren sein Wissen mit den Hörern und hat viele interessante Diskussionen über New Work, Digital Leadership, Erfolgsfaktoren und die Geschäftswelt geführt. Darüber hinaus ist Björn Autor zahlreicher Gastbeiträge in der t3n-Kolumne und wurde als LinkedIn Top Voice ausgezeichnet. Eine sehr beeindruckende Persönlichkeit, gleichzeitig sehr authentisch, sympathisch und wertschätzend im Umgang. Wir finden, es wird auch im Interview deutlich. Lest selbst und lasst Euch inspirieren!

Wie definierst Du den Begriff „New Work“ für Dich? Hast Du Dein eigenes Unternehmen „net positive ventures“ auch nach dem New Work Prinzip aufgebaut?

„Für mich ist New Work ein transformativer Arbeitsansatz, bei dem Autonomie, Flexibilität, persönliches Wachstum und Sinnstiftung im Vordergrund stehen. Er wird durch die Integration digitaler Technologien und einen kulturellen Wandel hin zur Wertschätzung sinnvoller und selbstbestimmter Arbeit vorangetrieben. Dieser Ansatz fördert ein kollaboratives Umfeld, in dem der Einzelne seine Fähigkeiten und Netzwerke nutzt, um Herausforderungen zu bewältigen und Innovationen voranzutreiben, und spiegelt eine Abkehr von traditionellen Arbeitsstrukturen hin zu dynamischeren und erfüllenderen Arbeitserfahrungen wider.

Bei net positive ventures ist schon im Namen ein Kernelement von New Work angelegt, nämlich die Sinnstiftung. Wir wollen mit dem, was wir tun, zu einer netto-positiven Veränderung von Umwelt und Gesellschaft beitragen.“

Sind wir schon in der Zukunft angekommen? Was müssen die Unternehmen erfüllen, um weiterhin in der neuen Arbeitswelt mithalten zu können? Was gehört zum New Work Mindset?

„Während Corona wurde der vielfach erzwungene Wechsel zur Remote-Arbeit als Erfüllung von New Work gesehen. Das halte ich für einen gefährlichen Trugschluss. Allerdings deckt Remote-Work oft ein fehlendes New Work Mindset auf. Denn ohne ein solides Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen und deren Führungskräften ist echtes New Work nicht möglich. Nur auf der Basis von Vertrauen können Autonomie und Eigenverantwortung als zwei zentrale Elemente von New Work funktionieren.“

Als Informatiker, Gründer und New-Work-Vordenker, wie siehst Du die Rolle der Technologie bei der Schaffung einer neuen Arbeitskultur und Organisation?

„Die Frage, wie wir Zusammenleben und Zusammenarbeit gestalten, war schon immer davon abhängig, welche Technologien uns zur Verfügung standen. Die Entstehung von Städten hat Arbeitsteilung erst möglich gemacht, Maschinen den Taylorismus befördert, Telefonie und Telegrafie waren die Basis erster multinationaler Unternehmen. Insbesondere unsere Möglichkeiten zur Kommunikation und damit Informationsweitergabe haben sich durch digitale Technologien massiv verändert und erfordern allein deshalb heute auch neue Arbeitsformen. Hierarchien etwa waren immer auch ein Mittel zur Informationsweitergabe von der Unternehmensspitze, die einen Wissensvorsprung hatte, zu der Peripherie. Heute ist es oft umgekehrt, die Unternehmensleitung im Zentrum ist auf Informationen von der Peripherie, den Menschen mit Kundenkontakt, abhängig. Wissen steht in der Regel immer allen gleichzeitig zur Verfügung. Wissen ist nicht mehr Macht, sie ist Hygienefaktor. Daher bekommen Selbstorganisation und Autonomie nicht nur eine neue Bedeutung, sie sind oft auch erst durch digitale Technologie möglich.“

Der Trend geht immer mehr zum hybriden Arbeiten – ist das mittlerweile das „neue Normal“?

„Ich hoffe nicht, ich halte nämlich nicht viel davon. Jedenfalls nicht in dem Sinne, dass Menschen in Büros sitzen und ein paar versprengte „Heimarbeiter“ per Video mit ins Meeting einbeziehen. Das ist in der Regel für alle Beteiligten unbefriedigend.  Ein echter „Remote-first“-Ansatz mit dem Büro als Begegnungsstätte anstatt als Arbeitsplatz ist in meinen Augen das ehrlichere und effektivere Konzept.“

Welche Rolle spielt das Büro in dieser neuen Arbeitswelt?

„In meinem letzten Job haben wir zwischen Lagerfeuer- und Kneipentagen unterschieden. Lagerfeuer meinte damit Veranstaltungen, bei denen wir explizit alle Mitarbeitenden vor Ort versammelt haben. Kneipentage waren solche, die sich von selbst entwickelt hatten, selbstorganisiert. An Kneipentagen war man sich sicher, im Büro Kolleg*innen zu treffen.

Beiden Konzepten gemein war, dass im Mittelpunkt die Begegnung, das soziale Miteinander stand. Das ist insbesondere fürs Kennenlernen und Onboarding neue Kolleg*innen wichtig, aber auch für das Aufrechterhalten einer gemeinsamen Kultur. Als Arbeitsort, wo jede*r mit seinem Rechner und Kopfhörern am Schreibtisch für sich sitzt und am Ende in einer Videokonferenz landet mit der Kollegin am Tisch nebenan, hat das Büro jedenfalls ausgedient.“

Was hältst Du vom Desksharing? Denkst Du, dass es den Unternehmen bei der “ New Wertschöpfung “ helfen kann?

„Wenn das Büro als Arbeitsort zunehmend ausgedient hat, verliert auch der Schreibtisch an Bedeutung. Wer ohnehin die meiste Zeit in gemeinsamen Meetings oder Workshops ist, wenn er oder sie schon mal im Büro ist, braucht dort nicht zwingend einen Schreibtisch. Flexible Arbeitsumgebungen sind da viel sinnvoller.“

Welche Vorteile siehst Du in der Implementierung von Desksharing für Unternehmen im New Work Kontext?

„Der Schreibtisch als geliehene Ressource, die ich zur Erledigung meiner Arbeit dazubuchen kann, wenn ich sie benötige, ist vergleichbar mit Carsharing und genauso sinnvoll. Ressourcen, die die meiste Zeit ungenutzt bleiben, sollten wir uns weder als Unternehmen noch als Gesellschaft leisten.“

Welche Herausforderungen könnten Unternehmen beim Übergang zum Desksharing-Modell im Rahmen von New Work begegnen und wie können sie diese bewältigen?

„In meinen Augen sind das hauptsächlich emotionale Faktoren. Die Idee von „meinem“ Arbeitsplatz inklusive Familienfoto auf dem Schreibtisch und der eigenen Topfpflanze sind in uns eingraviert und manchmal schwer hinter uns zu lassen. Gleichzeitig schlägt das Neue manchmal auch in ein Extrem um. Wenn plötzlich „aus Prinzip“ auch die Mitarbeiterin sich täglich einen Shareddesk buchen muss, die 5 Tage die Woche im Büro ist. Flexibilität und Pragmatismus sind auch hier wichtig.“

Inwiefern trägt das Desksharing-Konzept zur Förderung von Flexibilität und Zusammenarbeit in modernen Arbeitsumgebungen bei?

„Natürlich ist die Versuchung groß, Desksharing als reines Kostensparprogramm zu sehen. Ich würde mir stattdessen wünschen, dass Unternehmen kreativ mit den neu gewonnenen Möglichkeiten und Flächen umgehen. Warum nicht aus frei werdenden Büroflächen eine neue Begegnungsstätte machen? Oder ein Kreativspielplatz für Workshop und Innovationsprojekte? Das macht den „Abschied“ vom alten Modell in meinen Augen auch leichter weil ich als Mitarbeitender dafür was bekomme.“

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass das Desksharing-Modell sowohl die individuellen Arbeitspräferenzen als auch die Produktivität der Mitarbeiter berücksichtigt?

„Wichtig wäre in meinen Augen, das Büro und seinen Zweck gemeinsam als Team neu zu definieren und die Anforderungen und Ziele der Flächen zu vereinbaren. Einfach aus jedem Schreibtisch im Großraumbüro ein Flexdesk zu machen, führt vermutlich nur zur Unzufriedenheit. Projekträume, Räume für ungestörtes Arbeiten, Workshop-Räume für große Teams etc. sollten einen guten Mix darstellen.

Welche Rolle spielen digitale Tools und Technologien bei der Umsetzung von New Work und insbesondere von Desksharing in Unternehmen?

„Bei zunehmendem Anteil Remote-Work ist es wichtig, digitalen Ersatz für informelle Kommunikation zu geben. Ob einen eigenen Kanal in MS Teams oder Slack für „Flurfunk“, zufällig zusammengewürfelte Verabredungen zum virtuellen Kaffee oder auch Kreativsessions mit Miró und Co., das Angebot an digitalen Tools ist vielfältig und sollte genutzt werden.“

Und abschließend noch: was ist Erfolg? Und was sind deiner Meinung nach die Erfolgsfaktoren für ein Desksharing-Tool?

„Erfolg ist, wenn wir gemeinsam als Team Ziele erreichen. Dazu muss man erst einmal ein Team sein und ein Ziel haben. Wer den Weg zu New Work geht, sollte auch solche Entscheidungen wir die Einführung von Desksharing mit einem klaren Ziel und unter Einbeziehung der Betroffenen machen.“

Vielen Dank für dieses inspirierende Interview, Björn! Unser erster Eindruck hat sich bestätigt, wir konnten zahlreiche aufschlussreiche Impulse und Perspektiven auf die Zukunft der Arbeitswelt gewinnen.

Björn betont vor allem Vertrauen, Technologie als Enabler, Flexibilität und Sinnstiftung als zentrale Elemente von New Work sowie die Notwendigkeit einer klaren Zieldefinition für den Erfolg.

Wenn Ihr mehr von Björn Waide lesen bzw. hören möchtet, können wir Euch seinen Podcast #ErfolgsgeDANKE empfehlen. Inspirierende Persönlichkeiten, bewegende Geschichten und jede Menge Austausch zu New Work – überzeugt Euch selbst!

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